Dienstag, 23. April 2013

Die Übung des Dant‘ian


  

Das große kulturelle Erbe der Daoisten überliefert uns die Lehre vom Dao. Damit eng verbunden ist die Lehre von Qi mit seinen Gesetzmäßigkeiten. Dieses alles durchdringende Energiepotenzial ist die treibende Kraft des Dao.

Vom unendlichen Kosmos bis hin zu den kaum vorstellbaren kleinsten Teilchen kann nichts ohne Qi existieren. 

Alles Leben auf unserem Planeten bedarf des Vorhandenseins und der Funktion dieser Naturkraft.

„Der Mensch ist im Qi, das Qi ist im Menschen“, sagten die alten Daoisten.

„Schmerz ist der Schrei des Körpers nach fließendem Qi“, lehrt die „Traditionelle Chinesische Medizin“.

„KörperGeistSeele“ bilden eine untrennbare Einheit.

Unser körperliches, mentales und seelisches Wohlbefinden hängt unmittelbar vom Vorhandensein dieser Vitalkraft ab.

Jede geistige Anspannung, jede Emotion, alle Gefühle und seelische Schmerzen drücken sich im Körper aus und „vice versa“ beeinflussen unsere Körperempfindungen den geistig/seelischen Bereich.

Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelten die Daoisten Methoden, um Krankheiten vorzubeugen und sie zu behandeln.

Zur Pflege, zum Nähren und Vermehren von Qi wurde schon in der Zeit des sagenumwobenen Gelben Kaisers die Methode des Dao Yin (seit etwa 1950 Qi Gong genannt) entwickelt und die Körperübungen der Kultivierung der Seele (Körperseele Po und Geistseele Hun) und  der Stärkung der Mentalkraft gleichgesetzt.

Essenz dieser Übungen war die Regulierung von Geist, Atem und Körper zum Zwecke der Förderung der Langlebigkeit und Gesundheit.

Die Teilaspekte dieser feinstofflichen Energie Qi, die „drei Schätze“ Jing (Essenz), Qi (Aktivitätspotential) und Shen (Bewusstes und Unbewusstes) wurden in diesem Blog ausführlich beschrieben.

Durch das Wirken von Zhang San Feng in den Bergen von Wudang  entstand die daoistische Wudangschule, auch "Innere Schule" genannt, die im Gegensatz zur „Äusseren Schule“ der Shaolin  einen völlig neuen Kampfstil hervorbrachte, den „Inneren Stil der Kampfkunst“.

In der daoistischen Wudangschule entstand nach den Ideen, Visionen und Träumen von Zhang San Feng der „Innere Stil“

Durch die Schöpfung von „Tai Ji Quan“ als „Mutter der zehntausend Kampfkünste“ waren die Daoisten in der Lage, ihre „Inneren Energien“ Jing, Qi und Shen in einem bis dahin unbekanntem  Ausmass zu entwickeln und sich auf diesem „Weg“ der Kultivierung des Dao zu widmen.

Am Anfang dieser Übungspraxis steht das Erlernen und die Koordination körperlicher  Bewegungen. Dabei wird versucht, sich in den Übungen zu entspannen, loszulassen, sich mit Ruhe und Natürlichkeit, weich, aber mit innerer Kraft und Lebendigkeit zu bewegen und die Einheit zwischen Himmel, Mensch und Erde, genauso wie zwischen Atem, Körper und Geist und Innen und Außen herzustellen.

Diesen Zustand entspannter Harmonie, bei dem die Gedanken vor dem Üben abgelegt werden wie alle Gegenstände und Habseligkeiten, die zum Üben nicht gebraucht werden, nennt man „Fangsong“.

Nur im Zustand des „Fangsong“  ist es möglich, das „Innere Qi“ „Nei Qi“ auszubilden.

„Fangsong“ lässt sich nicht mit dem Willen herbeiführen und auch nicht durch Belehrungen übermitteln.

Einfach geduldig üben und warten, bis „es“ geschieht.

„Fangsong“ ist der Zustand von losgelöster Gelassenheit und innerer Harmonie, ein Zustand der Heiterkeit und doch von unglaublicher Wachheit und geistiger Frische.

Einige Inneren Übungen „Nei Gong“ der daoistischen Wudangschule zur Kultivierung des „Fangsong“ und des „Nei Qi“ wurden in diesem Blog  ausführlich beschrieben:

Die „Stehende Säule“ „Zhan Zhuang“, das „Leiten und Führen der Aufmerksamkeit“ „Yishi Daoyin“ (Qi durch Yi Lenken),
dazu auch das Üben der „Zhoutian“, des „Kleinen und Großen Himmlischen Kreislaufs“.

In der Tradition der daoistischen Wudangschule steht die „Übung des Dant’ian“ im Mittelpunkt aller Übungen.

Die drei wichtigsten Hauptenergiezentren „Dant’ian“ sind:

Das Obere Dant’ian „Shang Dant’ian“ im Kopf als Speicher des Geistes „Shen“.

Das Mittlere Dant’ian „Zhong Dant’ian“ in der Brust als Kammer des „Qi“

Und das Untere Dant’ian „Xia Dant’ian“ im Unterbauch als Energiezentrale und Körpermittelpunkt, wo „Jing, Qi und Shen“ zusammenfließen und transformiert werden.

In der daoistischen Wudangschule liegt das Augenmerk der Übungen und Meditationen im „Unteren Dant'ian“ „Xia Dant‘ian“, 4 Querfinger unter dem Nabel im Unterbauch.

Das „Xia Dant'ian“ wird auch als das „Untere Feld des Elixiers“ oder als „Goldener Ofen“ bezeichnet. Das ist das Energiezentrum, in dem nach der tradierten Überzeugung der Daoisten die Transmutationen von Qi, Jing und Shen durch alchemistische Vorgänge erfolgen.

Der Übende richtet seine Aufmerksamkeit darauf, immerwährend sein „Xia Dant'ian“ zu behüten wie seinen einzigen Schatz. Egal ob er geht, steht, sitzt oder liegt, er richtet die Aufmerksamkeit immer auf das Dant’ian. Zitat von Meister You Xuande.

Der gebündelte Geist wird auf dieses feinstoffliche Energiezentrum im Unterbauch gerichtet und in der Vorstellung „YI“ wird der Atem beim Einatmen dorthin gelenkt.

Das nennt man das Feuer in den goldenen Ofen (Xia Dant’ian) bringen. In der klassischen Zeit strebte man damit an,  Unsterblichkeit zu erlangen.

Die gebündelte Aufmerksamkeit („Yi“) ist ein Teilaspekt von Geist Shen und hat Yang – Qualität.

Die Bündelung von Aufmerksamkeit mit dem Atem gilt als „Yang“  und wird in der daoistischen Tradition  als „Feuer“ bezeichnet.

Aufgrund der Gesetzmässigkeit, dass das Qi und seine Aspekte immer dem Geist Shen und der Aufmerksamkeit „Yi“ folgt, führt das zu einer Ansammlung von Qi im Xia Dant'ien. Darüber hinaus kommt es zu einer Ansammlung von Jing, das von den Daoisten seit alters her als eigene Energie angesehen wird.

Jing gilt den Daoisten als eigenständige Manifestation des Ursprungs Qi, also des Qi des früheren Himmels, das sich in der machtvollen Sexualenergie manifestiert.

Qi und Jing sind die Brennstoffe im Goldenen Ofen „Dant'ien“, der durch Erhitzen zum Überlaufen gebracht wird.

Dadurch  entsteht eine Manifestation von verfeinertem Qi, es entsteht "Reines Yang".

"Reines Yang" entsteht wie ein Destillat und hat immer die aufsteigende Tendenz  von Feuer, es muss nach oben lodern und aufsteigen.

Mit ausdauerndem und geduldigem Üben wird dieses "Reine Yang" immer stärker und kraftvoller.

Das Destillat „Reines Yang“ erreicht und durchdringt im Laufe der Zeit das darüber liegende feinstoffliche Hauptenergiezentrum  „Mittleres Dant’ian“  „Zhong Dant’ian“ mitten in der Brust, wo die Transformation zum „Reinen Qi“ stattfindet.  

Nach daoistischen Überlieferungen durchdringt das „Reine Yang“  aufgrund einer Art osmotischen Vorgangs den körperlichen Bereich, wodurch Muskeln, Sehnen und Knochen  strukturell verändert werden, wie man das nur bei Meistern der „Inneren Kampfkunst“ finden kann. Muskeln und Sehnen werden weich, elastisch und dehnbar wie die eines Kindes und die Knochen werden durch knochenmarkähnlichen Ablagerungen härter als Stahl. (Beschrieben von Zheng Manqing in seiner Schrift: „Es gibt keine Geheimnisse“)

Ich kann aus eigenem Erleben die unglaublichen Fähigkeiten von den Meistern der daoistischen Wudangschule bestätigen.

Hat sich das "Reine Yang"  den Weg nach oben in das Mittlere Dant'ian gebahnt, dann wird mit Fortdauer der Übungen über  Monate und Jahre das destillierte Qi, Jing und Shen, also das "Reine Yang" , immer mehr verfeinert und es entsteht daraus "Reines Qi".

Dieses „Reine Qi“ steigt bei ausreichender Geduld und  langjähriger Übung in das Obere Dant’ian „Shang Dant'ien" im Kopfraum auf.

Dadurch wird das „Reine Qi“ in das „WU JI“ in die große Leere zurückgeführt und wird zu „Reinem Shen“ transformiert und es kommt zu Vereinigung mit dem Dao.

Das „WU JI“ ist das Reich des "Reinen Geistes", das Reich der Leere, das Lao Tse als das „Namenlose“ bezeichnet hat, weil es jenseits von allen Vorstellungen, jenseits von Yin und Yang, jenseits von jeder Bedingtheit und Kausalität liegt.

Die „Dant’ian Methode“ ist die langwierigste aller daoistischen Methoden. Alle Adepten der daoistischen Wudangschule beschreiten diesen Weg.

Jedem steht es frei,  für sich zu entscheiden, wie lange und wie weit er diesen Weg zu gehen bereit ist. Dieser Weg ist offen, ist keine Einbahnstrasse  und hat kein Ziel.

Das Glück liegt am Rande des Weges, nicht am Ende der Strasse.

Viele daoistische Eremiten haben ihr Leben der Kultivierung des Dao verschrieben und sind den Weg des „Wahren Menschen“ gegangen.

   

©2013 Copyright: Dr. Reinhard Hörmann